pro Dessau-Roßlau

Oktober 2020

Liebe Bürgerinnen und Bürger,

die Stadt Dessau-Roßlau hat den 30. Jahrestag der Deutschen Einheit mit einer würdigen Veranstaltung begangen, um die uns Bürger anderer Städte beneiden. Dafür möchte ich den Organisatoren der Stadtverwaltung, insbesondere den Mitarbeitern des Kulturamtes, danken.

Ein großes Dankeschön hat auch unsere Anhaltische Philharmonie verdient, die für den besonderen Rahmen sorgte.

Eingebettet in die Veranstaltung war die Einweihung des Denkmales für Michail Gorbatschow auf dem Platz der Deutschen Einheit. Ich glaube, dass die Absicht der Organisatoren Gorbatschow für seine Verdienste um die Beendigung des kalten Krieges und die Deutsche Einheit zu ehren und darüber hinaus eine positive Außenwirkung für unsere Stadt zu erzielen, erreicht wurde. Das bestätigt sowohl unser Ministerpräsident, Dr. Reiner Haseloff, als auch viele Nachrichten aus allen Teilen Deutschlands die mich erreichten.

Wie mir verschiedene Stadträte mit Bedauern mitteilten, werde ich in den letzten Tagen in den sozialen Medien von den ewig Gestrigen für diese Initiative, die ja nicht nur meine war, mit Schmutz beworfen. Da ich in den sozialen Medien genau deshalb nicht unterwegs bin, erreicht mich dies nicht. Sollte jemand aber an einem ernsthaften Dialog interessiert sein, kann er sich gern mit mir oder allen Initiatoren verabreden.

Da die Teilnehmerzahl an der Festveranstaltung begrenzt war, haben wir in unserer Fraktion entschieden meine Rede zum Denkmal auf diesem Wege allen Bürgerinnen und Bürgern zur Kenntnis zu geben.

Ich wurde in den letzten Tagen öfter nach meiner Motivation zur Errichtung eines Denkmals für Michail Gorbatschow gefragt. Wer diese verstehen will, muss wissen, was mich in meinem Leben wesentlich beeinflusst hat.

Mein Vater war vor dem Zweiten Weltkrieg Sozialdemokrat. Er hat aber die Zwangsvereinigung mit der Kommunistischen Partei Deutschlands(KPD) nicht mitgemacht. Er hat das real existierende sozialistische System in der DDR immer abgelehnt und an eine Wiedervereinigung geglaubt.

Mit 16 Jahren – 1957 – habe ich als Lehrling einer Elektro-Firma im Dessauer Gefängnis gearbeitet. Dort habe ich ehemalige Gewerkschaftsfunktionäre der DDR kennen gelernt, die wegen ihrer Beteiligung am 17. Juni 1953 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt waren.

Sie haben einem Lehrgesellen, der wegen einer Äußerung über Stalin als Berufsschullehrer Berufsverbot erhalten hatte und nur in einem Privatbetrieb wieder Arbeit gefunden hatte und mir davon berichtet, wie mit anderen, nicht linientreuen Genossen, umgegangen wurde.

Ich war über den 1. Mai 1968 eine Woche in Prag und habe den Prager Frühling live miterlebt. Wir haben nächtelang mit Jugendlichen aus vielen Ländern Europas die Entwicklung in der Tschechoslowakei diskutiert. Wir waren voller Hoffnung, dass diese Entwicklung nicht mehr aufzuhalten war und Europa verändern würde. Der militärische Einmarsch der Warschauer Pakt-Staaten am 21. August 1968 hat diese Hoffnung zerstört.

Das was 1963 in der DDR und 1968 in der Tschechoslowakei passiert ist, hätte uns 1989 auch passieren können. Wer in den letzten Tagen den Bericht über die 2 Plus 4 Verhandlungen zur Deutschen Einheit in verschiedenen Fernsehsendern gesehen hat – wer nicht – dem empfehle ich ihn eindringlich – hat noch einmal mit Originaltönen und Aussagen dokumentiert bekommen, wie sehr die Deutsche Einheit am seidenen Faden hing.

Ein Wort von Gorbatschow – und viele haben ihn dazu gedrängt – und die Panzer wären gerollt und ohne Rücksicht auf Menschenleben wäre unsere Demokratiebewegung niedergeschlagen worden .Er hat sich entschieden! Militärische Gewalt entsprach nicht seinen Vorstellungen zur Lösung von Problemen. Mit GLASNOST und PERESTROIKA hat er versucht, nach Innen und nach Außen neue Wege zu gehen und damit erfolgreich die Welt verändert.

Er hatte die wirtschaftliche und politische Situation im Ostblock analysiert und richtig eingeschätzt und den Deutschen zugestanden, selbst über ihr Schicksal zu entscheiden. Das deutsch-russische Verhältnis war und ist für ihn von besonderer Bedeutung. Er schreibt selbst – ich zitiere: „für mich stand fest, die Deutschen, das sind gute Leute.“ – (Zitatende)

Sein ganzes Wirken für die Beendigung des kalten Krieges, für den Weltfrieden und die Deutsche Einheit zu würdigen, würde meinen Rahmen sprengen, aber allein seine Verdienste um die Deutsche Einheit rechtfertigen es, ihm ein Denkmal zu setzen.

Als ich im Frühjahr 2019 mit Freunden in der „Bückemühle“ bei Gernrode beim Mittagessen saß, sagte der Ehrenbürger unserer Stadt, Karl-Heinz Heise, der in Dessau geboren und aufgewachsen ist und nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Eltern in den Westen gegangen war, aber gleich nach der Wende wieder nach Dessau zurück gekehrt ist, ganz unvermittelt – „es ist doch schön, dass wir wieder so zusammen sitzen können. „ Auf meine Frage, ob er wüsste, wem wir das verdanken, kam seine spontane Antwort – Gorbatschow.

Als ich dann sagte, dass ich Gorbatschow gern in Dessau-Roßlau ein Denkmal gesetzt hätte, dafür aber als Oberbürgermeister kein Geld hatte, kam sofort sein Vorschlag, Lass uns das privat durch Spenden finanzieren. „ Er legte auch gleich seinen beachtlichen Beitrag fest und Detlef Wenzel und ich schlossen uns seiner Initiative an.

Im Fortgang unserer Diskussion waren wir uns schnell einig mit dem Denkmal für Michail Gorbatschow, ganz in seinem Sinn, auch für ein besseres Miteinander zwischen unseren Völkern zu werben. Die russischen Menschen sind trotz der schmerzlichen Erfahrungen, die sie in zwei Weltkriegen mit uns Deutschen machen mussten, immer noch sehr deutsch-freundlich. Ich bin durch die Deportation der Junkers-Werke fünfeinhalb Jahre in der damaligen Sowjetunion aufgewachsen.

Ich habe als deutsches Kind 1947 von einem sowjetischen Offizier eine Tafel Schokolade geschenkt bekommen, damals eine Rarität. Die Junkers-Leute haben als Kriegsverlierer bessere Wohnbedingungen, höhere Gehälter und bessere Lebensmittelkarten gehabt als die Kriegsgewinner.

Wenn ich heute den Ort meiner Kindheit besuche und als Deutscher erkannt werde, schlägt einem eine Welle der Sympathie entgegen und man ist überall herzlich eingeladen.

Was will ich damit sagen, die Menschen verstehen sich offensichtlich besser als die Regierungen. Die Menschen wollen nicht zurück schauen, sondern nach vorn in eine friedliche Zukunft blicken.

Wir sollten aufhören, anderen unser Weltbild aufzuzwingen und darauf setzen, dass sie ihren Weg schon allein finden und gehen werden. Mit Sanktionen schaden wir in erster Linie den Menschen. Niemand kommt auf die Idee Sanktionen gegen die USA zu verhängen wegen ihres Ausstiegs aus internationalen Abkommen oder dortiger Menschenrechtsverletzungen.

In seinem vielleicht letzten Buch mit dem Titel „Was jetzt auf dem Spiel steht: Mein Aufruf für Frieden und Freiheit“ analysiert Michail Gorbatschow die aktuelle Situation in der Welt zutreffend.

Er fordert die Politiker auf, die Differenzen zwischen den Staaten einzig und allein mit friedlichen Mitteln am Verhandlungstisch zu lösen. Er warnt – ich zitiere: „Wer Nationen gegeneinander aufstachelt, verhält sich wie der Rattenfänger aus dem bekannten Märchen. Heutzutage kann so ein Rattenfänger die ganze Menschheit an einen Punkt führen, von dem es kein Zurück mehr gibt.“ (Zitat-Ende)

Tun wir alles uns Mögliche, dass es nicht soweit kommt!

Ich danke allen Spendern aus Dessau-Roßlau und aus der näheren und weiteren Umgebung für die Unterstützung. Ich bedanke mich bei den Mitgliedern des Kuratoriums für Ihre Begleitung und bei Familie Röttig für die russischen Übersetzungen unserer Einladungsschreiben.

Und ich bedanke mich beim Steinmetz, Herrn Volker Wotzlaw.

Die Mitarbeiter der Stadtverwaltung mögen mir verzeihen, dass ich Ihnen zusätzliche Arbeit gemacht habe – auch dafür mein herzliches Dankeschön.

Hans-Georg Otto

Stadtrat

Fraktion Pro Dessau-Roßlau

Poststraße 6

06844 Dessau-Roßlau

Tel: 0340 / 8507929, Fax: 0340 / 8507934

E-Mail: info@prodessau.de

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